Wer die Wahl hat, hat die Qual
Es ist Herbst und mein Kinderchor hat noch Kapazität, um ein weiteres neues Kinderlied für das Offene Singen zu erlernen. Wie schon so oft stehe ich vor der großen Suche, das Problem: die Liedauswahl. Einen Teil (vor allem Volkslieder), habe ich auswendig im Kopf, im Schrank steht eine Reihe unterschiedlicher Liederbücher und wenn ich bei Google <Kinderlieder Herbst> eingebe, spuckt mir die Suchmachine unzählige Ergebnisse aus. Wie aber weiß ich, welches Lied besonders geeignet ist? Was macht den Kindern Spaß und ist nicht eintönig, platt oder langweilig und gleichzeitig musikalisch anspruchsvoll?
Diese Fragen beschäftigen mich genauso, wie vielleicht auch dich. Um die Auswahl leichter zu machen, fasse ich deshalb hier für dich zusammen, wie und nach welchen Kriterien ich ein Lied aussuche. Das kann als Richtlinie funktionieren, an der du dich bei deiner eigenen Suche entlanghangeln kannst.
Wie nähere ich mich einem neuen Kinderlied?
Schritte zur Liedauswahl
erster Schritt
Wenn ich auf Suche nach guten Liedern für meine Kinderchorgruppe im Kindergartenalter gehe, muss jedes Lied erstmal die erste Hürde meistern:
Es muss mir spontan gefallen!
Ein Lied, das ich selbst nicht mag und eher schlecht finde, ist viel schwerer mit der gleichen Begeisterung zu vermitteln, als eines, das mir nach dem ersten Hören gefällt. Wichtig ist allerdings, dass ich mir diesen ersten Eindruck entweder auf Grundlage der Noten verschaffe oder versuche, mir die gehörte Audioaufnahme in einer Fassung vorzustellen, wie ich sie später verwenden werde.
Höre ich ein Lied auf CD, eingespielt mit Synthesizer und Schlagzeug, ich selbst kann aber nur Gitarre spielen, versuche ich es mir mit Gitarre vorzustellen, damit ich später nicht enttäuscht bin, wenn es ganz anders klingt. Abraten möchte ich vom Singen zur CD (Playback) – dazu an anderer Stelle mehr. Wenn es dir am Anfang schwerfällt, dir das Lied mit anderen Instrumenten vorzustellen, lass dich nicht entmutigen! Auch für mich war es am Anfang nicht leicht, aber ich kann aus Erfahrung sagen: je öfter man es macht, desto leichter wird es. Versuch es einfach immer wieder! – du wirst sehen, mit der Zeit hast du immer schneller eine eigene Vorstellung im Kopf.
Ab jetzt habe ich immer meine Zielgruppe im Hinterkopf! Passe die folgenden Schritte also, falls nötig, auf deine Zielgruppe an.
zweiter Schritt
Wenn mir das Lied vom ersten Eindruck zugesagt hat, lese ich den Text und frage mich:
Ist das „gutes Deutsch“/ein gut geschriebener Text?
Dazu zählen für mich folgende Punkte:
- Ist der Satzbau übersichtlich (Grundlage: Subjekt, Prädikat, Objekt)? – z.B. keine Satzumstellungen zugunsten des Reimes!
- Werden Wörter/Vokabeln verwendet, die meinem Anspruch an das Lied gerecht werden?
(keine Umgangssprache/Slang, alltagstauglich, altdeutsche Wörter – will ich die?) - Sind keine unnötigen Wortkürzungen vorhanden?
(gerade kleine Kinder, die noch mitten in ihrer Sprachentwicklung stecken und vor allem Kinder mit Migrationshintergrund, sollen sich ganze Wörter und eher keine Abkürzungen angewöhnen) - Stimmen die Reime an den Zeilenenden?
(z.B. rot – Mut, das reimt sich nicht!!! – es soll nichts Falsches eintrainiert werden)
dritter Schritt
Stimmt der Text, rückt endlich der musikalische Teil des Liedes in den Vordergrund. Hierbei sind für mich unterschiedliche Aspekte von Bedeutung. Ich stelle mir 2 Fragen:
- Welche Erfahrung bringt meine Gruppe mit?
- Wie viel Singerfahrung haben die Kinder schon?
- Wie trainiert ist das Gehör / das Rhythmusgefühl?
- Wo liegen die Schwierigkeiten der Melodie?
- schwierige / große Sprünge – sing selbst, denn was dir schwerfällt, fällt oft auch den Kindern schwer!
- Pausen
- Synkopen (Betonung auf unbetonter Zählzeit, siehe Beispiel auf 1+)
- Ungewohnte Tonalität (nicht nur Dur)
- Stimmt der Ambitus?
- 2-4 Jahre Terz – Quinte
- 4-7 Jahre Oktave – Dezime
- Stimmt die Tonhöhe? / Muss ich transponieren?
- 2-3 Jahre – tiefster Ton e‘‘ (also e‘‘ – c‘‘‘)
- 4-7 Jahre – tiefster Ton c‘‘ (also c‘‘ – e‘‘‘)
- 8-Stimmwechsel (12-16) – der Stimmumfang erweitert sich nur langsam, tiefster Ton a‘
- 2-3 Jahre – tiefster Ton e‘‘ (also e‘‘ – c‘‘‘)
Wenn ich diese Fragen geklärt habe und das Lied für Gruppe und Anlass passend ist, kann es losgehen!
Ich möchte an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass meist nicht jedes Lied alle Kriterien erfüllt – unumgänglich sind aber aus praktischer Sicht der Ambitus und die Tonhöhe. Nicht umsonst legt das Carusoszertifikat u.a. darauf besonders Wert. Tiefere Töne sind für Kinder in der jeweiligen Altersstufe nicht produzierbar und die Kinder trainieren sich bei zu tiefen Liedern ein falsches Hören an.
Die Auswahlkriterien im Bezug auf den pädagogischen Wert und der Repertoireauswahl erläutere ich hier.
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