Warum singen wir eigentlich Kinderlieder?

(dieser Artikel baut auf dem vorherigen zum Thema Liedauswahl auf)

Die Aufgaben eines Kinderliedes

Oft wird bei Kinderliedern heute zuerst nach dem pädagogischen Wert / Nutzen gefragt. Ich frage mich oft, müssen Kinderlieder einen solchen Zweck erfüllen? Irgendeinen Zweck sollte das Erlernen eines Liedes natürlich haben, sonst kann ich mit den Kindern schließlich unreflektiert alles Mögliche singen. Folgende Punkte sind mir wichtig bzw. mind. zwei sollten erfüllt sein:

  • Spaß
    Vor allem bei „Quatschliedern“ – Liedern mit witzigem oder unsinnigem Text – gegeben. Meist sind es kurze Lieder, über die sich die Kinder kaputt lachen und, die sie deshalb besonders gerne singen.
  • Musikalisches Lernen
    Die Kinder nehmen musikalisch etwas vom Lied mit. Es ist vielleicht ein anspruchsvoller Rhythmus oder ein Lied, dem eine ungewöhnliche Tonskala zu Grunde liegt o.ä.
  • Sprachliches Lernen
    Der Wortschatz oder grammatikalische Phänomene werden trainiert bzw. durch das Lied oft wiederholt – die Wortbetonungen werden durch den Rhythmus in der Melodie idealerweise unterstützt und gefestigt.
  • Themen
    Es werden Themen wie Freundschaft, Tod oder Angst angesprochen, Themen aus dem Leben der Kinder, mit denen sie sich durch das Lied auseinandersetzen und so in ihrer Entwicklung vorankommen.
  • Emotionen
    Das Lied berührt die Kinder emotional.
  • Eignung für Kinder!
    Je nach Alter der Kinder kann das variieren. Bitte die Kinder nicht unterschätzen, in der Regel können sie musikalisch mehr leisten, als man als Erwachsener einschätzt. Allerdings rate ich dazu beispielsweise keine Mehrstimmigkeit im Kindergartenalter zu probieren, da die Kinder das entwicklungsbedingt noch nicht hören / beherrschen können.

Auf zwei Punkte dieser Liste, der mir persönlich in meinen Liedern oft sehr wichtig ist, möchte ich noch etwas genauer eingehen:

Emotionen im Lied – Schlüssel zu Identifikation

Warum berühren mich bestimmte Lieder und andere weniger? – eine komplexe Frage. Offensichtlich ist: irgendwas am Lied muss mich ansprechen. Völlig egal, ob es der Text ist, in dem ich mich wiederfinde oder eine bestimmte Wendung in der Melodie, die Emotionen hervorruft.

Ein guter Text zeichnet sich für mich durch seine runde Form aus. Ich möchte Spaß beim Zuhören / Lesen haben oder mich in der angesprochenen Vorstellung / Emotion wiederfinden. Vielleicht möchte ich auch motiviert sein mit einzusteigen oder endlos zu lauschen.

Eine gute Melodie unterstützt den Text bei Liedern möglichst in idealer Weise. z.B. trägt sie die Stimmung des Textes weiter und rückt die wichtigen Wortbetonungen in den Vordergrund. Wenn eine Melodie besonders gut / „stark“ ist, kann sie auch für sich stehen, klingt also schon interessant und „schön“, wenn sie rein instrumental (ohne Text) erklingt.

Viele neue Lieder haben nur eins: einen guten Text oder eine starke Melodie. Es gibt sie aber, die Kinderlieder, in denen beides gut gewählt ist. Meist sind es die Lieder, die sich über lange Zeit bewährt haben – die alten Volkslieder.

Warum Volkslieder wichtig sind?

Alte Volkslieder haben in allen Ländern etwas gemeinsam: sie haben einen langen Weg mündlicher Überlieferung hinter sich. Nur Lieder, die viele Menschen berühren, können sich über viele Generationen halten. Wir haben es also mit einer Art Vorauswahl zu tun. Allerdings sind es oft Lieder aus einer anderen Zeit – fremde Wörter (vor allem für kleine Kinder heutzutage) und Melodien in Moll und anderen Tonskalen lassen uns diese Lieder oft mit großer Vorsicht betrachten. Zu Recht, denn Kinder sind heute oft nur leichte Verse in Dur gewohnt.

Auf zu fremden Häfen

Unsere Kinder wachsen heute mit einer Vielzahl von Höreindrücken auf: Pop im Radio, Rock/Jazz vom Vater, Klassik in der Früherziehung und Kinderlieder in der Kita – diese Liste lässt sich beliebig ergänzen.

Meine Erfahrung ist, dass sich jüngere Kinder für – für sie unbekannte – Musikstile besonders begeistern können. Fremde Wörter und Sprachen sind sehr reizvoll (meistens nicht zu schwer!) und gerade Lieder, die nicht in Dur stehen, sind bei den Kindern oft sehr beliebt und als Lieblingslied ans Herz gewachsen.

Alte Volkslieder

In Deutschland sind die Volkslieder teilweise durch ihren Missbrauch im 3. Reich verdrängt worden und in Vergessenheit geraten. Lieder wie „Es klappert die Mühle“ oder „Muss I denn“ wurden von populären Evergreens wie „Yesterday“ oder „Über den Wolken“ abgelöst. Eine Ausnahme bildet das Weihnachtsfest; zu diesem Fest werden auch heute noch viele alte Volkslieder gesungen und weitergegeben. Doch gerade auf Grund dieser schwierigen Vergangenheit des Volksliedes wird es Zeit, dass wir uns mit diesem Teil der deutschen Kultur wieder beschäftigen. Das schließt ja nicht aus, dass für die anderen Stile nicht trotzdem Raum vorhanden ist.

Was hält uns also davon ab, den Kindern alte Volkslieder beizubringen? – richtig, nichts!
Im Gegenteil, es hat sogar noch einige weitere Vorteile. Volkslieder sind Kulturgut eines ganzen Volkes, es sind Lieder, die einen bestimmten Bekanntheitsgrad haben. Die Chancen stehen also gut, dass auch das Nachbarskind oder die Großmutter das Lied kennt und man spontan zusammen singen kann.

Deshalb mein Appell: Singt mehr Volkslieder!

Du kennst nur wenige Volkslieder? Hier gibt es eine ganze Sammlung, wo du nach Themen geordnet suchen kannst. Wie bekannt ein Lied ist, stellst du fest (vorausgesetzt, du findest es geeignet), wenn du den Titel bei Youtube nachschlägst.

Die richtige Mischung (Repertoire)

Du hast dich sicher schon gefragt, warum ich gerade auf einem Blog für neue Kinderlieder Werbung für Volkslieder mache. Natürlich hoffe ich, dass dir meine neuen Kompositionen und Texte gefallen und du viele davon nutzen und ausprobieren kannst, aber das ist nicht alles!

Bei der Arbeit mit Kindern ist es essenziell, dass zwischen verschiedenen Genres gewechselt wird. Mein Ziel ist, dass die Kinder möglichst viel unterschiedliches Liedrepertoire kennen lernen. Ich selbst mische in meinen Kinderchorproben zwischen Kinderliedern unterschiedlicher Liedermacher und Volksliedern sowie Liedern aus anderen Kulturen. Je abwechslungsreicher das Programm, desto mehr nehmen die Kinder davon mit.

Wähle deshalb bitte eine gute Mischung für das Liedrepertoire der Kleinen aus. Bei mir sieht das ungefähr so aus:

Kreisdiagramm Repertoire

Eignung für Kinder

Wann eignet sich ein Lied für Kinder und woher weiß ich, ob es genau für meine Gruppe gut ist? Hier habe ich bereits einen Teil dieser Frage beantwortet. Was aber, wenn meine Gruppe sehr gemischt im Alter oder in der Leistungsfähigkeit ist? Was habe ich für Möglichkeiten diese Barrieren abzubauen? Für meine eigene Arbeit nutze ich verschiedene Varianten.

Rollen verteilen

Verschiedene Rollen zu vergeben ist sicher die einfachste Möglichkeit. Wie können diese aussehen?

  • ein leistungsstarkes Kind herausgreifen / in den Mittelpunkt stellen
    • Vormachen: das Kind Vorsingen lassen – die anderen hören es nochmal (hörend lernen)
    • Gruppe anführen: das Kind auf z.B. Bildkarten zeigen lassen / Gesten vormachen lassen – die anderen können sich an ihm orientieren
    • Verantwortung übertragen: beauftragen, sich um Jüngere zu kümmern / ihnen zu helfen
    • zusätzliche Aufgabe: bei Liedern mit schweren Strophen z.B. die Strophen übernehmen lassen
positivnegativ
für Jüngere kann es ein Ansporn sein, genauso gut zu werden, VorbildfunktionRollen werden manifestiert, Unterschiede werden fokussiert und in den Mittelpunkt gerückt
  • zwei leistungsgemischte Gruppen
    • in Konkurrenz zueinander singen: die Gruppen so mischen, dass starke Kinder in beiden Gruppen sind
    • Gemeinschaftsgefühl vermitteln – nur gemeinsam schafft man es gut

positiv
negativ
Wettbewerbssituationen zwischen den Gruppen motiviert (gute Konzentration) und schweißt in der Gruppe zusammenes ist schwer dann nicht zu werten (es soll sich niemand schlechter fühlen) – die Freude am Singen steht schnell nicht mehr im Vordergrund

Ich finde, es ist wichtig, dass möglichst viele Situationen geschaffen werden, in denen die Leistungsunterschiede nicht auffallen. Trotzdem bediene ich mich regelmäßig der oben aufgeführten Varianten, um Abwechslung in den Stundenablauf zu bringen.

Stunde im Gleichgewicht

Für mich ist das Gleichgewicht von großer Bedeutung. Es ist wichtig regelmäßig auch Aufgaben zu stellen, die für alle gut schaffbar sind und bei denen auch die Schwächeren mal vormachen können. z.B. ist das Warm-up – besonders, wenn ich eine Stimmbildungsgeschichte mache – immer ein Baustein, bei dem Unterschiede gar nicht auffallen, weil jedes Kind soviel mitmacht, wie es kann und möchte. Alle Kinder sind aber so sehr gefordert, dass sie sich gar nicht besonders auf die anderen konzentrieren können.

In meinen Stunden greife ich ca. 1/4 der Zeit einzelne Kinder zum Vormachen raus. 2/4 der Zeit singen wir gemeinsam ohne Rollen, wir lernen Neues in der Gruppe oder wiederholen bekannte Lieder, die sich die Kinder wünschen. Das letzte 1/4 sind Situationen, in denen wie beim Warm-up beschrieben, solche Unterschiede gar nicht auffallen. Um ein gutes Gruppenmiteinander zu erzielen, sollte der Teil, in dem ich einzelne Kinder herausgreife, 1/2 auf keinen Fall überschreiten.

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